Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (Offener Brief, 17.08.2022)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

wir appellieren an Sie, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sich bei der Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes für die Rechte von Kindern und Jugendlichen einzusetzen und ihnen sowohl Infektionsschutz als auch Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Der am 3. August vorgestellte Vorschlag des Bundesjustiz- und des Bundesgesundheitsministers ist in dieser Hinsicht völlig unzureichend, da er Infektionsschutz und somit den Erhalt der Gesundheit der Kinder zu wenig berücksichtigt. Teilhabe an Bildung und Infektionsschutz müssen zusammen gedacht werden. Eine Fortsetzung des ungenügenden Infektionsschutzes in Bildungseinrichtungen würde sowohl zu Lasten der Bildung als auch zu Lasten der Gesundheit der Kinder und damit zu Lasten der Zukunft dieses Landes gehen.

1. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, dass wir ihnen Bildung und Teilhabe auf eine Weise ermöglichen, die ihre Gesundheit nicht gefährdet. Die Verantwortung hierfür tragen wir als Gesellschaft. Entgegen vieler Behauptungen waren Schulen bisher KEINE sicheren Orte. Da es noch immer Kinder gibt, die bisher nicht geimpft wurden oder werden konnten, sollte alles daran gesetzt werden, auch diese Kinder vor einer Infektion zu schützen. Ein einfach anwendbares und sicheres Mittel, um das Infektionsrisiko zu senken und kontinuierlichen Präsenzunterricht zu ermöglichen, ist das Tragen von Masken. Da alle Schüler*innen, unabhängig von Alter und Wohnort, ein Recht auf hinreichenden Infektionsschutz haben, sollte eine Maskenpflicht im Unterricht nach bundesweit einheitlichen Kriterien für alle Klassenstufen erlassen werden.

2. Kinder sind die Bevölkerungsgruppe, zu deren Infektionsschutz am wenigsten unternommen wurde. Dies führte zu einer hohen Infektionszahl und zu vermeidbaren Fällen von LongCOVID, PostCOVID, ME/CFS und anderen Folgeerkrankungen in dieser Altersgruppe. Die Gesundheit und das Wohlergehen der Kinder müssen bei der Beschlussfassung zum neuen Infektionsschutzgesetz oberste Priorität haben. Hierbei kann es nicht um eine Reduktion der Debatte auf „Schulen auf oder Schulen zu“ gehen, sondern Bildung und Gesundheitsschutz müssen zusammen gedacht werden. Um ein kontinuierliches Bildungsangebot und somit einen Bildungserfolg für alle Schüler*innen sicherstellen zu können, ist es erforderlich, das Infektionsgeschehen an Schulen so gering wie möglich zu halten. Ein weiteres Schuljahr wie das letzte sollte es nicht noch einmal geben.

3. Es ist ein Phänomen, dass Schulen trotz fehlendem Infektionsschutz als „sichere Orte“ bezeichnet wurden. Tatsächlich haben sich viele Kinder in Schulen und Kitas infiziert. Auch wenn Kinder häufig keine akut schweren Verläufe einer Corona-Erkrankung haben, so leiden bereits heute Kinder an LongCOVID, PostCOVID, ME/CFS und anderen Folgeerkrankungen. Jede erneute Infektion birgt in sich das Risiko von Langzeitschäden. Diese gilt es zu vermeiden.

4. Um das Infektionsgeschehen an Schulen und Kitas niedrig halten zu können, sind zudem obligatorische Tests und gegebenenfalls Isolation der positiv getesteten Kinder und Jugendlichen unerlässlich. Familien müssen in Isolationsphasen so unterstützt werden, dass Teilhabe an Bildung möglich bleibt und psychosoziale Belastungen minimiert werden. Gegebenenfalls sollte Familien kurzfristig und niederschwellig psychosoziale Unterstützung angeboten werden. Für die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen sollte uns das Aufbringen dieser Kosten eine Selbstverständlichkeit sein. In diesem Zusammenhang ist es weiterhin nicht nachvollziehbar, dass Schulen und Kitas auch im dritten Pandemiejahr nicht flächendeckend mit raumlufttechnischen Anlagen oder mobilen Luftreinigern ausgestattet werden. Das ständige Hin- und Herschieben der Verantwortung in dieser Frage zwischen Bund, Ländern und Kommunen trägt maßgeblich zur Verunsicherung der Eltern und zur allgemeinen Pandemiemüdigkeit bei.

5. Darüber hinaus bitten wir Sie, die Probleme der Schattenfamilien, d.h. der Familien mit vorerkrankten Kindern oder Angehörigen, im neuen Infektionsschutzgesetz zu berücksichtigen. Hier sind neben den oben genannten Maßnahmen weitere Anstrengungen erforderlich. Bei Kindern mit Vorerkrankungen kann eine Sars-CoV2-Infektion lebensgefährlich sein. Bei diesen Kindern und Jugendlichen sollte für die Zeit der Pandemie nicht auf die Präsenzpflicht bestanden, sondern ein alternatives Angebot in Form von Online-Schulen bereit gestellt werden. Hier könnte der Bund zumindest eine Empfehlung aussprechen. In Anbetracht der zunehmenden Zahl an Kindern und Jugendlichen, die von LongCOVID, PostCOVID, ME/CFS und anderen Folgeerkrankungen betroffen sind, sehen wir hier zudem eine Möglichkeit, diesen Kindern und Jugendlichen die Teilhabe an Bildung zu ermöglichen. Um allen Bundesländern eine solche Online-Schule zu ermöglichen, ist eine Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel durch den Bund notwendig. Wir alle wünschen uns die Rückkehr zur Normalität, doch es darf keine Scheinnormalität zu Lasten der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sein, die ihr Leben noch vor sich haben.

6. Der unzureichende Infektionsschutz an Schulen und Kitas im vergangenen Schuljahr hat wesentlich zu einem sehr hohen Infektionsgeschehen unter Kindern und Jugendlichen als auch unter den Eltern, Lehrer*innen und Erzieher*innen beigetragen. Die Konsequenz hieraus ist eine zundehmende Zahl an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die unter LongCOVID, PostCOVID, ME/CFS und anderen Folgeerkrankungen leiden. Die Versorgungslage für diese Patient*innen ist desaströs. Mit Nachdruck fordern wir den Aufbau einer hinreichenden Versorgungsstruktur für diese Patient*innen, eine breit angelegte Aufklärungskampagne für Eltern, Fortbildungsprogramme für Hausärzt*innen, sowie die Bereitstellung von mehr Mitteln für die weitere Erforschung von LongCOVID, PostCOVID, ME/CFS und anderen Folgeerkrankungen.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Reißig und Dr. Stefan Keppeler
für die Initiative #BildungAberSicher

unterstützt durch:


Fatigatio e.V.

Dr. med. Claudia Ellert

Long COVID Deutschland

Nabard Faiz, Arzt
Faraz Fallahi
Bettina Grande, Psychologische Psychotherapeutin (TP, PA)
Dr. med. Isabelle Greber
Dr. Sebastian Groß, Facharzt für Anästhesie, ZB Notfallmedizin, Intensivmedizin
Birgit Gustke
Martin Hippe
Prof. Dr. Fabian Januszewski, Universität Paderborn, Institut für Mathematik
Prof. Dr. phil. habil. Dr. med. habil. Martina King
Adrian Knispel, Arzt
Dr. Wolfgang C. G. von Meißner, MHBA – Hausärzte am Spritzenhaus
Dr. med. Armin Philip
Susanne Ritter, ME/CFS Elterntreff
Judith Sauer, Ärztin
Prof. Dr. Julian Schmitz, Universität Leipzig, Kinder- und Jugendpsychotherapeut
Dr. Jana Schroeder
Prof. Dr. Friedemann Weber, Universität Gießen, Institut für Virologie
Dr. med. Cornelia Werner


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